Fahrende befinden sich in «akuter Notlage»

19. März 2020

Coronavirus: Der Platz für Fahrende im Kanton Bern ist knapp. Das Virus erschwert ihre Situation zusätzlich. 

Martin Erdmann, Der Bund

Der Bundesrat rät der Bevölkerung, zu Hause zu bleiben. Doch was bedeutet das für die Volksgruppe der Fahrenden, deren Zuhause ein variabler Ort sein kann? Hauptsächlich eines: «Akute Notlage.» Zu diesem Fazit kommt die Radgenossenschaft der Landstrasse, Dachorganisation der Schweizer Jenischen und Sinti.

Deshalb fordert sie nun, dass Bund, Kantone und Gemeinden alles tun müssen, um Platz zu schaffen, damit reisende Familien mehr Möglichkeiten bekommen, in kleineren Gruppen unterwegs zu sein. Wie es in einer Medienmitteilung heisst, wird dabei etwa an die Öffnung von Militärarealen oder Chilbiplätzen gedacht. Angela Mattli von der Gesellschaft für bedrohte Völker sagt den Fahrenden eine schwierige Reisesaison voraus. Auch jenen aus dem Ausland. «Ihre Möglichkeiten sind aufgrund der Corona-Situation in Europa stark eingeschränkt.»

Daher schliesst sie nicht aus, dass viele erst gar nicht in die Schweiz kommen werden. Die Fahrt durch die Schweiz ist für Fahrende aus dem Ausland eine wichtige Route, um Geld zu verdienen. Doch das sei in der momentanen Situation für alle Fahrenden schwierig, befürchtet Mattli. «Mit Von-Tür-zu-Tür-Gehen wird man es wegen Social Distancing nicht einfach haben.» Es ist eine Befürchtung, die von Simon Röthlisberger von der Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende bestätigt wird.

«Jenische und Sinti berichten davon, dass sie deutlich weniger Aufträge haben.» Das Coronavirus verschlechtere die ökonomische Situation der fahrenden Handwerker und Händler «markant».

Unerwünschte Halte

Ausländische Fahrende treffen im Kanton Bern zudem auf ein besonders knappes Platzangebot. Denn für sie gibt es in diesem Jahr nur noch den provisorischen Transitplatz in Gampelen, um Halt einzulegen. Dort wurden erste Gespanne jedoch bereits wieder abgewiesen, weil der Transitplatz erst am 1.

April öffnet. «Die Zeit bis dahin wird für Vorbereitungsarbeiten benötigt», begründet die zuständige Regierungsrätin Evi Allemann (SP). Die Lage ist schwierig, der Platz knapp. «Die Situation wäre sicher für alle Beteiligten entspannter, wenn weitere Gemeinden Hand bieten würden», sagt Allemann. Wie sich die junge Reisesaison entwickeln wird, sei nur schwer vorauszusehen.

«Wenn die Nachfrage aber das Angebot übersteigt, ist auch künftig mit unerwünschten Halten zu rechnen.» Die Regierungsrätin hofft deshalb auf Angebote von privaten Landbesitzern, die spontane Halte ermöglichen wollen.

«Äusserste Massnahme»

Anzeichen auf fehlenden Platz sind in jener Gemeinde zu finden, in der 2023 der erste fixe Transitplatz des Kantons eröffnet werden soll. Der Autobahnrastplatz in Wileroltigen ist seit Tagen wieder von Gespannen aus dem Ausland besetzt. Das Bundesamt für Strassen (Astra), welches für den Platz zuständig ist, hat Massnahmen ergriffen.

«Der Reinigungszyklus der Toilettenanlagen wurde intensiviert, seit letzter Woche ist ein Sicherheitsdienst auf dem Platz», sagt Astra-Sprecher Thomas Rohrbach. Fahrende müssten dem Astra pro Woche mehrere Hundert Franken Gebühren zahlen, sagt Rohrbach. Mit diesen Einnahmen seien die zusätzlichen Aufwände aber nicht zu decken. «Diese Ad-hoc-Lösung stellt die äusserste Massnahme dar, um dem Kanton Bern zu helfen, bis die notwendige Infrastruktur bereitsteht.».