Nationale Minderheit

Die Fahrenden sind in der Schweiz als nationale Minderheit anerkannt. Da die Fahrenden einen von den landesüblichen Sitten und Gebräuchen der Mehrheitsbevölkerung abweichenden Lebensstil pflegen, stellen sich rechtliche Herausforderungen, um eine Diskriminierung dieser zahlenmässig kleinen Gruppe zu verhindern.

Anerkennung als Minderheit

Die Schweiz hat mit der Unterzeichnung des Rahmenübereinkommens des Europarats 1997 die schweizerischen Jenischen und Sinti als eine nationale Minderheit anerkannt. Diese Anerkennung gilt unabhängig von der Tatsache, ob sie fahrend oder sesshaft leben. Damit hat sich die Schweiz verpflichtet, dieser Minderheit zu ermöglichen, ihre Kultur zu pflegen und weiterzuentwickeln. 

Auch die jenische Sprache ist gemäss der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen anerkannt.

Ein für die Jenischen und Sinti bedeutsamer Moment war der Auftritt von Bundesrat Alain Berset anlässlich der Feckerchilbi 2016 in Bern. Er hat sie in seiner Rede  mit ihren eigenen Bezeichnungen angesprochen und angekündigt, den Begriff «Fahrende» nicht mehr zu verwenden. 

Statement: Bundesrat Alain Berset, 2016

Ich werde mich dafür einsetzen, dass der Bund Sie künftig «Jenische» und «Sinti» nennt. Und dass künftig auf den allgemeinen Begriff «Fahrende» verzichtet wird. Das ist nicht Wortklauberei, mit Sprache schafft man Realität.

Mehr Informationen

Das Bundesamt für Kultur BAK ist das zuständige Fachamt für die Förderung der Anliegen der Jenischen und Sinti auf nationaler Ebene. Auf der Webseite des BAK finden sich weiterführende Informationen zum rechtlichen Rahmen. 

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Diskriminierungsverbot und Recht auf fahrende Lebensweise

Schlüsselnorm zum Schutz von Minderheiten ist das Diskriminierungsverbot gemäss Art. 8 der Bundesverfassung: «Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.» 

Durch den von der Mehrheit der in der Schweiz lebenden Personen abweichenden Lebensstil sind auch in raumplanerischer Hinsicht spezielle Anforderungen an den Umgang mit den Fahrenden zu stellen. Nach Art. 3 Abs. 3 des Raumplanungsgesetzes sind die Siedlungen nach den Bedürfnissen der Bevölkerung auszugestalten. Dazu gehören auch die Bedürfnisse der Fahrenden. In diesem Kontext ist der Bundesgerichtsentscheid vom 28. März 2003 (BGE 129 II 321) hervorzuheben. Das Bundesgericht anerkennt in diesem Entscheid das Recht der Fahrenden auf angemessene Stand- und Durchgangsplätze und statuiert, dass diese bei der Raumplanung vorgesehen und gesichert werden müssen.

Auf Bundesebene hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass die Stellung der Fahrenden weiter gestärkt werden sollte. So hat der Bundesrat 1997 auf der Grundlage des entsprechenden Bundesgesetzes vom 7. Oktober 1994 die Stiftung «Zukunft für Schweizer Fahrende» ins Leben gerufen, welche die Lebensbedingungen der Fahrenden in der Schweiz sichern und verbessern soll.

Hinweis

Jenische Kultur. ​Ein unbekannter Reichtum.

Literatur

Was sie ist, wie sie war, wie sie weiterlebt, hg. von der Radgenossenschaft der Landstrasse, Redaktion: Willi Wottreng, Zürich 2017. 

Die reich bebilderte Broschüre der Radgenossenschaft, der Dachorganisation der Jenischen und Sinti in der Schweiz, widmet sich in sieben Kapiteln den Themen nationale Minderheit, Familie, Freiheit, Berufe, Feste, Kunst und Glaube. Bestellt werden kann die Broschüre bei der Radgenossenschaft.

Statement: Toni Bortoluzzi (*1947)

Die Schweiz ist ein Zusammenschluss von Minderheiten. Der Wille, die Anliegen von Minderheiten ernst zu nehmen und ihnen, wenn auch nicht immer in vollem Umfang, entgegen zu kommen, prägt auch heute noch das Zusammenleben in unserem Land. Für die Fahrenden in der Schweiz ist es wichtig zu wissen, dass sie in einem Land leben, in dem Minderheiten akzeptiert sind.

Internationale Rechtsgrundlagen

Auf internationaler Ebene finden sich Diskriminierungsverbote im UNO-Pakt II und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Art. 27 UNO-Pakt II enthält einerseits einen gerichtlich anfechtbaren Individualschutz für von Diskriminierung Betroffene. Anderseits verpflichten die Bestimmungen die beigetretenen Staaten, einen wirksamen Gruppenschutz einzuführen. Art. 14 EMRK schützt nationale Minderheiten allgemein vor Diskriminierung. Ob Fahrende im Sinne von Art. 14 EMRK zu einer nationalen ethnischen Minderheit gezählt werden, ist aber nicht abschliessend geklärt. Bisweilen wurden entsprechende Beschwerden immer unter anderen Diskriminierungsarten wie Sprache oder Kultur behandelt. 

In der Schweiz hat zudem das Rahmenübereinkommen der Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten (RÜSNM) Geltung. Das RÜSNM schützt ethnische, sprachliche und kulturelle Bevölkerungsminderheiten und verpflichtet die partizipierenden Staaten, für nationale Minderheiten die Grundrechte in vollem Umfang zu garantieren und sie nicht zu diskriminieren. Des Weiteren dürfen sie keine Assimilierungsmassnahmen ergreifen und sind verpflichtet, die kulturelle Identität der Minderheiten zu fördern. Die auslegende Erklärung der Schweiz zum Rahmenübereinkommen macht deutlich, dass die Fahrenden eine nationale Minderheit im Sinne des Übereinkommens sind. Individuell justiziable Rechte lassen sich aus dem RÜSNM wohl nicht ableiten, doch sind die in den Art. 24 ff. RÜSNM genannten Institutionen des Europarats für die Überwachung des Übereinkommens zuständig.

Ein weiteres Übereinkommen zum Minderheitenschutz im internationalen Kontext ist das Übereinkommen Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO). Es verlangt von den beteiligten Staaten, dass indigene und in Völkern lebende Stämme in ihren Grundrechten geschützt und nicht diskriminiert werden. Weiter sollen sie ihre gesellschaftlichen, institutionellen, kulturellen, religiösen und sprachlichen Eigenheiten praktizieren können. Umstritten ist, ob Fahrende als Angehörige eines indigenen Volkes klassifiziert werden können. Nicht zuletzt deswegen wurde das Abkommen in der Schweiz trotz Diskussion in den Räten und verschiedenen parlamentarischen Vorstössen noch nicht ratifiziert.

Abschliessend ist zu erwähnen, dass in der Schweiz auch ein Bewusstsein für die Problematik einer indirekten Diskriminierung von Fahrenden vor allem in den Bereichen der Raumplanung, Baupolizei, Gewerbepolizei und Schulpflicht besteht. Die Lösung dieser Probleme gestaltet sich aber schwierig, da dem Bund nicht in allen Bereichen eine umfassende Gesetzgebungskompetenz zukommt. Vorstellbar wären ähnliche Regelungen wie diejenigen im Bereich der Gleichstellung der Geschlechter oder das uneingeschränkte Diskriminierungsverbot gegenüber Behinderten.