«Behörden sind verpflichtet, Halteplätze bereitzustellen»

24. Septembre 2021

Jenische, Sinti und Roma leben in der Schweiz oft auf Durchgangs- oder Transitplätzen, die von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt werden. Von dort gehen die Fahrenden ihrem Handwerk nach. Doch weil es zu wenig Durchgangsplätze gibt, kommt es auch zu Spontanhalten auf Privatgrundstücken, schreibt SRF. Und in der Sendung "heute morgen" macht SRF deutlich: Die Behörden sind unter Umständen verpflichtet, Land zu vermieten.

Balz Oertli/SRF

Jetzt zeigt ein Rechtsgutachten des Kompetenzzentrums für Menschenrechte der Uni Zürich, dass Fahrende grundsätzlich Anrecht auf solche Spontanhalte haben. Voraussetzung ist die Einwilligung der Grundstückbesitzerinnen, wie der Geschäftsführer der «Stiftung Zukunft Schweizer Fahrende» sagt.

SRF News: Wie gestaltet sich die Situation bezüglich Durchgangs- und Halteplätzen für Fahrende in der Schweiz?Simon Röthlisberger: In den letzten Jahren erschwerten immer mehr Restriktionen auf Gemeinde- oder Regionalebene die Suche nach einem Stellplatz – etwa Campingreglemente. Zudem gibt es in der Schweiz immer noch viele Vorurteile gegenüber Jenischen, Sinti und Roma und ihrer Lebensweise.

Was zeigt das Gutachten der Uni Zürich, was diese Einschränkungen bezüglich der Halteplätze für Fahrende angeht? Laut dem Bericht dürfen private Grundeigentümer den Fahrenden grundsätzlich Land für den Aufenthalt während einer beschränkten Dauer zur Verfügung stellen. Er hält aber auch deutlich fest, dass die Behörden und Gemeinden zum Teil dazu verpflichtet sind, Grundstücke zur Verfügung zu stellen, damit Halte möglich sind.

Betrifft diese Pflicht auch Haltemöglichkeiten ausserhalb der offiziellen Durchgangsplätze?

Jenische, Sinti und Roma geniessen in der Schweiz Minderheitenrechte. Deshalb müssen die Behörden eine Interessenabwägung machen zwischen den schützenswerten Interessen dieser Minderheiten und den Interessen der sesshaften Bevölkerung. Darum kann es nicht sein, dass Entscheide rein aufgrund von Vorurteilen gefällt werden oder dass die Interessen der Sesshaften per se vorgezogen werden.

Mancherorts erlauben die Behörden keine Spontanhalte. Geschieht das aus Unwissen oder aus Diskriminierung?

Es spielen verschiedene Aspekte mit hinein. So spielt die Unwissenheit sicher eine Rolle, zudem können vorhandene Vorurteile rasch in Diskriminierung umkippen. Es kommen fremde Menschen mit einer Lebensweise, die man nicht kennt – da ist es oftmals einfacher, Nein zu sagen, als Offenheit zu zeigen und unterstützend zu wirken.

In der Schweiz gibt es nur wenige offizielle Durchgangsplätze für Fahrende. Was hat diese Knappheit mit den Spontanhalten zu tun?

Unser Ziel ist, dass durch unsere Publikationen und unser Wirken wieder mehr Spontanhalte möglich werden. Sie sind zentral für die fahrende Lebensweise: Man hält dort, wo die Kundschaft lebt oder in jener Region, zu welcher man eine Verbundenheit hat. Mehr Spontanhalte könnten zudem den grossen Druck auf die wenigen offiziellen Durchgangsplätze lindern.

RATGEBER FÜR SPONTANHALTE

Auf Grundlage des Rechtsgutachtens des Kompetenzzentrums für Menschenrechte der Uni Zürich hat die Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende einen Ratgeber mit Empfehlungen für alle Beteiligten erarbeitet. Er soll Jenischen, Sinti und Roma, aber auch Grundeigentümern sowie Kantonen und Gemeinden helfen, eine Abmachung für einen Spontanhalt zu treffen. Die Stiftung empfiehlt etwa privaten Grundeigentümern, die Land vermieten, einen Vertrag mit den Nutzenden abzuschliessen. Gleichzeitig sollen auch Abmachungen über eine minimale Infrastruktur wie Wasser, Strom, Toiletten und Abfallentsorgung getroffen werden. Den Ratgeber finden Sie hier.