Noch immer fehlen Standplätze für Fahrende in der Schweiz. Das bedroht ihre Kultur. Eine Jenische erzählt.
Es sei ein «Meilenstein», frohlockte der Bund. Ein «Aktionsplan» werde endlich zu mehr Standplätzen für Jenische führen. Lebensweise und Kultur der Fahrenden würden gefördert, und «bis 2022» werde es «ein deutlich verbessertes Angebot an Halteplätzen» geben. Das versprach der Bund vor sechs Jahren. Gehalten hat er sein Versprechen nicht.
Yvonne Huser sagt: «Wir sind zwar eine anerkannte nationale Minderheit, aber das bringt uns keine neuen Standplätze.» Huser ist 59 und lebte mit ihren Kindern bis 1996 im Wohnwagen. «Im Sommer waren wir auf Reise, im Winter meist auf einem Standplatz ohne WC und Dusche.» Irgendwann sei das nicht mehr gegangen mit drei Kindern. Es sei immer schwieriger geworden, im Winter einen guten Standplatz zu finden. «Heute lebe ich in einer Wohnung, weil ich muss. Wenn draussen die Vögel zu pfeifen beginnen, halte ich es manchmal kaum aus», sagt die Jenische aus der Region March im Kanton Schwyz. Yvonne Huser hat zwar noch einen Wohnwagen. Doch das ganze Jahr würden sie damit nicht mehr auf Reise gehen. «Mit 59 brauche ich die Sicherheit, dass es im Winter einen festen Standplatz für uns gibt.» Doch die fehlt.
Ein kümmerliches Resultat
Husers erzwungene Sesshaftigkeit ist der Regelfall. Von rund 30 000 Jenischen in der Schweiz pflegen nur noch 2000 bis 3000 die nomadische Lebensweise, schätzt der Bund. «Ich habe manchmal das Gefühl, die Leute wollen nicht, dass wir auf Reise gehen. Sie wollen uns in Wohnungen verfrachten», sagt Huser. «Doch dort verschwindet unsere Kultur langsam. Mit meinen Enkeln rede ich zwar das Jenische. Aber lieber würde ich ihnen zeigen, wie es ist, auf Reise zu gehen.»
Der Bund erkannte bereits vor neun Jahren an, dass «die Suche nach Halteplätzen zunehmend schwierig» werde für Jenische, Sinti und Roma. Weil es immer weniger freie Flächen in den Agglomerationen gebe. Und weil die Bedürfnisse der fahrenden Minderheiten oft als Letztes berücksichtigt würden. Dazu kommen Einsprachen gegen neue Plätze. Der Bund rief deshalb einen «Aktionsplan» ins Leben. Das Resultat ist schwach: In neun Jahren kam unter dem Strich bloss ein Standplatz dazu – und sechs Durchgangsplätze fielen weg. Laut der Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende ist seit 2021 bloss ein einziger Platz eingeweiht worden – in Erlach BE. «Es fehlen 20 bis 30 zusätzliche Standplätze», sagt Geschäftsführer Simon Röthlisberger. Gesucht seien Orte, die Fahrenden ein dauerhaftes Zuhause sein könnten. Röthlisberger sieht zwar gute Entwicklungen: «Zum Beispiel der Kanton Bern macht wirklich vorwärts.» Aber leider dauere alles sehr lange. Das zuständige Bundesamt für Kultur schiebt die Schuld auf die Kantone. Der Bund könne nur Geld sprechen, handeln müssten die Kantone. Die Eidgenossenschaft habe zwar in den vergangenen fünf Jahren 1,6 Millionen Franken gesprochen für den Unterhalt und den Ausbau verschiedener Plätze. Doch die Situation sei «nicht zufriedenstellend», sagt eine Sprecherin.
Politischer Wille ist gefragt
Schnell ging es nur in Erlach am Bielersee. Dort wurde ein kleiner Standplatz auf einem Campingplatz eröffnet, der im Winter für Feriengäste geschlossen ist und teilweise Fahrenden zur Verfügung steht. «Erlach zeigt, dass eine Gemeinde handeln kann, wenn der politische Wille da ist», sagt Röthlisberger. «Wir würden uns wünschen, dass es mehr solche Beispiele gibt.» Das hofft auch Yvonne Huser. «Bei kleinen Standplätzen für Familien gibt es vielleicht weniger Widerstand», sagt sie. So etwas müssten sich der Kanton Schwyz oder der Bezirk March auch vornehmen. Die Gemeinden sollten die Jenischen einfach mal einladen, damit man sich kennenlernen kann, schlägt Huser vor. «Dann würden die Anwohner vielleicht merken, dass ihre Vorurteile gegenüber Jenischen falsch sind.»