Gesetz gegen Fahrende ohne Schlagkraft

01. Februar 2019

Mit einem neuen Artikel im Polizeigesetz soll es einfacher werden, Fahrende wegzuweisen. Einigen geht dieser aber zu wenig weit.

Auf dem Feld neben der Autobahnraststätte in Wileroltigen wird Mais angebaut. Nicht nur Gemüse gedeiht an diesem Ort. 2017 wuchs hier im Klima eines wütenden Politsommers eine Forderung heran, die nun als Artikel 83 und 84 im Polizeigesetz steht, über welches am 10. Februar abgestimmt wird. Es war der Sommer, als ausländische Fahrende die Wiese neben der Autobahnraststätte besetzt hatten. Aus dieser illegalen Landnahme entstand ein Zwist, der zeigte, wie tief der Graben zwischen Fahrenden und Sesshaften im Kanton Bern reichen kann. Der Grosse Rat hat darauf jene Artikel definiert, durch die Fahrende künftig einfacher weggewiesen werden können. 

Hinnerk Semke ist Gemeindepräsident in Wileroltigen. Er bezeichnet die Artikel als «Schritt in die richtige Richtung». Dennoch hält sich seine Begeisterung in Grenzen, das Gesetz ist ihm zu halbherzig. «Es nützt uns so nichts.» Denn damit eine Wegweisung legitim ist, muss den Fahrenden einen Transitplatz zur Verfügung gestellt werden. Der Haken: Diese sind im Kanton Bern rar.

Es ist dieser Mangel an Alternativen, weswegen Simon Röthlisberger das Fahrende-Gesetz als «hinfällig» bezeichnet. Er ist Geschäftsleiter der Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende und sieht es als «Überreaktion auf die Geschehnisse in Wileroltigen». Zudem glaubt er, dass auch Wegweisungen ohne Aussicht auf Alternativplätze nicht zielführend seien. «Dadurch würde es nur zu neuen Landbesetzungen kommen.» Diese könnten zwar in anderen Kantonen stattfinden, aber das sei weder eine Lösung noch fair, sagt Röthlisberger. Die Schaffung von Transitplätzen sei die einzige Lösung. 

Doch auch wenn solche Plätze geschaffen würden, muss es nicht zwingend zur Wegweisung kommen. «Sie ist eine Kann-Bestimmung, wodurch dem Einzelfall gerecht werden kann», so Florian Hirte, stellvertretender Generalsekretär der Polizei- und Militärdirektion.

«Schlechtes Zeichen»

Die Kantone sind zur Schaffung solcher Plätze verpflichtet, weil der Erhalt der Lebensweise der Fahrenden unter dem Schutz von Verfassungs- und Völkerrecht steht. Die Raumplanung muss deshalb entsprechende Lebensräume ermöglichen. Das revidierte Polizeigesetz stelle sich gegen diese Lebensweise, sagt Angela Mattli von der Gesellschaft bedrohter Völker. Schon nur, dass über einen solche Wegweiseartikel abgestimmt wird, wertet sie als schlechtes Zeichen. «Es zeigt, dass die Bemühungen durch Bund und Kantone, die Situation der Fahrenden zu verbessern, bisher sehr einseitig waren.»

Im Auftrag der Gesellschaft bedrohter Völker hat der Rechtsprofessors Rainer J. Schweizer ein Gutachten erstellt. Er kommt zum Schluss, dass die «Lex Fahrende» gegen Diskriminierungsverbot und Minderheitenschutz verstösst, «sofern nicht genügend ausreichende und angemessene Stand- und Durchgangsplätze existieren».

Die Abstimmung über diese gesetzliche Verschärfung erfolgt in einer Zeit, in der sich die Wogen etwas geglättet haben. «Rückblickend auf die letztjährige Reisesaison der Fahrenden darf ich feststellen, dass diese ruhig verlief», sagt Regierungsrätin Evi Allemann (SP), die für die Schaffung neuer Plätze zuständig ist. Denn die Fahrenden hätten zurzeit wenig Anlass zu Protestaktionen. «Nach meiner Einschätzung sind ihnen die engagierten Bemühungen des Kantons Bern zur Schaffung neuer Halteplätze bewusst.» Der temporäre Platz in Brügg hätte Linderung gebracht. Doch dieser schliesst noch in diesem Jahr. Ersatz steht jedoch schon bereit. «In Gampelen wird voraussichtlich im Frühling ein provisorischer Platz in Betrieb genommen.»

Wileroltigen erhält Transitplatz

Und dann ist da noch Wileroltigen. Der Grosse Rat wird im März über einen Kredit von 3,3 Millionen Franken für einen fixen Transitplatz für ausländische Fahrende abstimmen. In Wileroltigen geht man davon aus, dass dieser durchgewinkt wird. «Wenn der Platz bei uns entsteht, müssen sich die anderen Gemeinden nicht darum kümmern», sagt Gemeindepräsident Semke. Immerhin laufe die Planungsarbeit mit dem Kanton gut. «Viele unserer Forderungen wurden erfüllt.» So werden für seine Gemeinde beispielsweise keine Kosten anfallen.

Martin Erdmann, Der Bund